3. Juli 2025
Wie weiter in Gaza?
Von Sacha Wigdorovits
Aus den folgenden fünf Gründen ist ein baldiger Waffenstillstand in Gaza sehr wahrscheinlich:
- Der Ruf der israelischen Bevölkerung nach einer Beendigung der Kämpfe und sofortigen Rückkehr der verbliebenen 50 Geiseln, von denen 20 noch am Leben sein sollen, wird immer lauter.
- Die Führung der israelischen Armee IDF hat der Regierung klargemacht, dass eine Weiterführung der Kampfhandlungen die noch lebenden Geiseln massiv gefährdet.
- US-Präsident Donald Trump will den Krieg in Gaza aus Prestigegründen möglichst rasch beendet wissen.
- Die Hamas ist stark geschwächt und kann nicht mehr auf Unterstützung des nach dem 12-Tage-Krieg ebenfalls schwachen Iran rechnen.
- Benjamin Netanjahu kann sich einen Waffenstillstand mit der Hamas jetzt leisten, weil er nach seinem Sieg gegen den Iran innenpolitisch so stark und von seinen rechtsextremen Partnern unabhängig ist wie schon lange nicht mehr. (Neueste Umfragen prognostizieren seiner Likudpartei bei Neuwahlen ein sehr gutes Resultat, dies im Gegensatz zu ihren rechten Koalitionspartnern.)
Die entscheidende Frage bleibt allerdings: Was kommt danach? Theoretisch sind vier Möglichkeiten denkbar:
Wiedereinführung des status quo ante. Das heisst: Hamas, obwohl militärisch und auch politisch stark geschwächt, bleibt in Gaza an der Macht. Diese Variante ist allerdings weder für Israel noch für die USA denkbar. Abgelehnt würde sie auch von der im Westjordanland herrschenden Palästinensischen Autonomiebehörde von Mahmud Abbas, die gerne die Kontrolle über Gaza übernehmen würde (mehr dazu weiter unten).
Und last but not least wäre eine Rückkehr zur Situation vor dem 7. Oktober 2023 auch aus Sicht der arabischen Staaten in der Region nicht erwünscht. Dies gilt insbesondere für Saudi-Arabien, das mit Israel gerne Frieden schliessen würde. Dies ist aber erst dann möglich, wenn das Königshaus der eigenen, palästinenserfreundlichen Bevölkerung eine politisch akzeptable Lösung für Gaza und das Westjordanland präsentieren kann. Mit Hamas in Gaza weiterhin an der Macht ist dies undenkbar.
Israel bleibt dauerhaft in Gaza. Für diese Variante plädieren die rechtsextremen Koalitionspartner Netanjahus. Ihnen schwebt sogar eine Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung und anschliessende Annexion des Küstenstreifens vor (zusammen mit einer Einverleibung des Westjordanlandes).
Aber gegen eine solche Politik wäre international der Widerstand zu gross und sie wäre in Israel ebenfalls nicht mehrheitsfähig. Auch ohne Annexion würde eine dauerhafte Besetzung von Gaza durch die IDF von einer Mehrheit der Israelis nicht akzeptiert. Denn dies würde eine Lösung des Konflikts mit den Palästinensern ebenfalls verunmöglichen.
Die Palästinensische Autonomiebehörde PA übernimmt die Kontrolle über Gaza. Der greise Chef der PA, Mahmud Abbas, arbeitet seit Monaten aktiv auf diese Lösung hin. Unlängst hat er sogar offiziell das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 verurteilt, um in Israel und in den USA gute Stimmung für sich und seine Behörde zu machen.
Allerdings gelten Abbas und seine PA als korrupt und schwach und sind auch bei der eigenen Bevölkerung im Westjordanland unbeliebt. Dass Israel in dem von der Autonomiebehörde kontrollierten Gebiet immer wieder Terrorzellen ausheben muss, zeigt zudem, dass Abbas und die PA allein nicht in der Lage wären, die Überreste der Hamas zu kontrollieren und im Gazastreifen für Stabilität und Frieden zu sorgen.
Eine internationale Friedenstruppe sorgt für Ruhe und Ordnung. Dieser Lösungsansatz könnte es Israel ermöglichen, sich aus dem Gazastreifen zurückzuziehen, ohne dabei seine berechtigten Sicherheitsinteressen aufzugeben. Gleichzeitig wäre dies auch eine Basis für den Wiederaufbau des im Krieg stark zerstörten Gebiets und eine Grundlage für die Bildung eines unabhängigen palästinensischen Staates, mit dem aber realistischerweise vor zehn, zwanzig Jahren nicht zu rechnen ist.
Die Frage ist: Wer würde sich an einer solchen Friedenstruppe beteiligen?
Die Europäer haben zwar von Israel immer wieder lautstark gefordert, in Gaza die Menschenrechte zu respektieren. Aber wären Deutschland, Frankreich, Grossbritannien oder die Schweiz bereit, mit eigenen Soldaten dafür zu sorgen, dass in Gaza die Waffen ruhen und sich die Hamas nicht weiter an Hilfsgüterlieferungen bereichern kann? So, wie dies der Fall war, als die UNO und ihr nahestehende Organisationen für die Hilfslieferungen verantwortlich waren. Es darf bezweifelt werden.
Auch US-Präsident Donald Trump wird keine grosse Lust verspüren, eigene Truppen nach Gaza zu schicken, denn dies würde ein Grossteil seiner Wähler nicht goutieren.
Somit bleiben für eine derartige Mission nur noch die benachbarten Staaten Saudi-Arabien, Jordanien und, Ägypten sowie allenfalls noch Bahrain, Oman und sogar Katar. Diese Variante, verbunden mit einem durch die USA vermittelten Friedensschluss zwischen Saudi-Arabien und Israel, ist die wahrscheinlichste.
Sie wäre auch die Beste. Denn sie wäre die einzig «interne» Lösung des konfliktgeschüttelten Nahen Ostens. Ausserdem würde sie die Verantwortung für ein friedliches Verhalten der Palästinenser gegenüber Israel ihren «Brüdern» übertragen: den anderen arabischen Staaten. Sei es in Zusammenarbeit mit der Palästinensischen Autonomiebehörde, sei es mit Vertretern der Zivilgesellschaft in Gaza.
Zugegeben, im Moment scheint ein solches Szenario noch sehr spekulativ. Aber in der Politik kommt es immer wieder über Nacht zu fundamentalen Verschiebungen. Und nach der Niederlage des Iran im Krieg gegen Israel und die USA, nach der Schwächung der Hisbollah im Libanon und der weitgehenden Zerschlagung der Hamas in Gaza stehen die Zeichen dafür so gut wie noch nie.
Sacha Wigdorovits ist Präsident des Vereins Fokus Israel und Nahost, der die Webseite fokusisrael.ch betreibt. Er studierte an der Universität Zürich Geschichte, Germanistik und Sozialpsychologie und arbeitete unter anderem als USA-Korrespondent für die SonntagsZeitung, war Chefredaktor des BLICK und Mitbegründer der Pendlerzeitung 20minuten.