1. September 2025
Zum ersten Mal mehr religiöse als säkulare Erstklässler in Israel
Zum ersten Mal in der Geschichte Israels wurden dieses Jahr mehrere tausend Kinder mehr in religiösen jüdischen Schulen als in säkularen eingeschult. Das geht aus Zahlen des Bildungsministeriums hervor. Experten sehen darin einen Vorboten für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen – mit potenziell gravierenden Folgen für Wirtschaft, Bildung und Sicherheit.
Daten:
- Insgesamt beginnen rund 180’000 Kinder die Grundschule.
- Säkular: 66’185 Schüler
- Nationalreligiös: 29.470 Schüler
- Haredi (ultraorthodox): 42’751 Schüler
- Arabisch/Beduinisch/Drusisch/Tscherkessisch: rund 41’000 Schüler
Damit besuchen erstmals 72’221 Kinder orthodoxe Einrichtungen – rund 6’000 mehr als säkulare Schulen. Noch im Jahr 2000 lag das Verhältnis klar anders: 61 % der jüdischen Erstklässler gingen in säkulare Schulen, 20 % in nationalreligiöse und 20 % in Haredi-Schulen. Heute sind es 48 % säkulare, 21 % nationalreligiöse und 31 % Haredi. Die Zahl arabischer Erstklässler blieb dagegen über die Jahre relativ stabil: 26 % im Jahr 2000, 24 % im Jahr 2015 und 23 % im Jahr 2025.
Säkulare wandern eher aus
Ein Grund für den Rückgang säkularer Schüler könnte die massive Auswanderung der letzten Jahre sein. Zwischen 2023 und 2024 verließen 82’000 Israelis das Land, nur 24’000 kehrten zurück; rund 30’000 neue Einwanderer kamen hinzu. Die Abwanderung begann mit der Justizreform 2023 und verschärfte sich nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober. Laut Demograf Sergio DellaPergola ist es plausibel, dass vor allem säkulare Familien auswandern. DellaPergola ist emeritierter Professor und früherer Leiter des Harman Institute of Contemporary Jewry an der Hebräischen Universität.
Bis zu sechs Kinder pro Frau
Neben der Auswanderung wirken sich auch die unterschiedlichen Geburtenraten der verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf die Zusammensetzung der Schüler aus. So haben säkulare Familien im Schnitt etwas über zwei Kinder pro Frau – ausreichend für Bestandserhalt. Religiöse und Haredi-Familien haben hingegen oft bis zu sechs Kinder pro Frau.
DellaPergola verweist darauf, dass in Tel Aviv, einer überwiegend säkularen Stadt, zwar mehr Kinder geboren werden als in jedem europäischen Land – das Wachstum der Haredim ist dennoch deutlich dynamischer und verdoppelt ihren Bevölkerungsanteil etwa alle 25 Jahre.
Schlechte Aussichten für Wirtschaft und Sicherheit
Besonders problematisch sei, dass einige religiöse Schuleinrichtungen ihre Schüler nicht ausreichend auf die moderne Welt vorbereiten – weder für den Arbeitsmarkt noch für die Integration in die Gesellschaft. Das könne Israels technologieabhängige Wirtschaft ebenso schwächen wie das Militär. Nur 54 % der Haredi-Männer sind erwerbstätig, viele Familien leben in Armut, und die Gemeinschaft verweigert sich seit Jahren der Wehrpflicht – obwohl das Oberste Gericht pauschale Befreiungen bereits als verfassungswidrig erklärt hat.
Israel rangiert im OECD-Programm PISA 2006–2022 auf Platz 31 von 36 Ländern.
- Schüler in säkularen Schulen schneiden im internationalen Vergleich noch am besten ab und würden alleine Platz 22 belegen.
- Nationalreligiöse Schulen kämen auf Platz 29.
- Arabische Schüler liegen am unteren Ende, auf Entwicklungsland-Niveau.
- Haredi-Schüler nehmen kaum an den Tests teil, da in vielen Schulen Kernfächer fehlen.
«Rund die Hälfte der israelischen Kinder erhält derzeit eine Ausbildung auf Drittwelt-Niveau», warnt Prof. Dan Ben-David vom Shoresh Institut. «Wenn sie morgen Erwachsene sind, können sie keine moderne Wirtschaft und kein modernes Militär tragen. Wir stehen vor einem nationalen Sicherheitsnotstand.»
Quelle: Times of Israel vom 31. August 2025, vollständiger Beitrag (englisch)