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NZZ: «Israels Geheimdienstchef warnt vor «jüdischem Terrorismus» – Ben-Gvir fordert seine Entlassung»

Der Machtkampf zwischen dem rechtsextremen Flügel von Netanjahus Koalition und Israels Sicherheitsapparat verschärft sich. So hat der Chef des israelischen Inlandgeheimdiensts Shin Bet, Ronen Bar, eindringlich vor der Bedrohung durch radikale Siedler im eigenen Land gewarnt und den rechtsextremen Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, scharf kritisiert.

Itamar Ben-Gvir, Benjamin Netanjahu & Ronen Bar
Itamar Ben-Gvir, Benjamin Netanjahu & Ronen Bar © CC BY-SA 3.0

In einem Brief an Premierminister Benjamin Netanyahu und ausgewählte Minister bezichtigt der Chef des Inlandgeheimdiensts Shin Bet, Ronen Bar, das Vorgehen der Siedler im Westjordanland als Terrorismus und bezeichnet deren Gewalt als existenzielle Gefahr für den Staat Israel. Der Brief war am Donnerstagabend von Israels Nachrichtensender Channel 12 News veröffentlicht worden. 

Bar sieht dabei den Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, als Sicherheitsrisiko und kritisiert dessen Verhalten scharf, insbesondere seine Besuche auf dem Tempelberg, die Spannungen verschärfen könnten. Er verwies auch darauf, dass die Siedler ihre Waffen teilweise direkt von staatlichen Stellen erhalten hätten.  

Falls Israel die Siedlergewalt nicht unter Kontrolle bringen würde, so Bar in seinem Schreiben, drohen Israel internationale Isolation, selbst durch die engsten Partner, eine überlastete Armee und eine neue Kriegsfront.

Auch Verteidigungsminister Galant attackiert Ben-Gvir

Nur wenige Tage, nach den warnenden Worten Bars überfallen extremistische Siedler das palästinensische Dorf Jit und töten einen jungen Mann. Während die internationale Gemeinschaft Israels Regierung scharf verurteilt, fordert Ben-Gvir die Entlassung Bars. Verteidigungsminister Joaw Galant stellt sich am Freitag hinter den Geheimdienstchef. Der Shin-Bet-Chef erfülle seine Pflicht, während Ben-Gvirs leichtsinniges Verhalten die nationale Sicherheit Israels gefährde, teilt Galant über die Plattform X mit.

Auch Israels engste internationale Partner verurteilen die Siedlergewalt deutlich und sehen die israelische Regierung in der Pflicht, die Siedler unter Kontrolle zu bringen. Durch die Tolerierung der Gewalt lege Israel die Axt an seine eigene Sicherheit, sei aus Diplomatenkreisen zu hören, schreibt die NZZ.

Gewaltmonopol soll ausgehöhlt werden

«Im Kern geht es darum, dass Ben-Gvir versucht, das Gewaltmonopol des Staates auszuhöhlen», sagt der israelische Politikwissenschafter Gideon Rahat, Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem, gemäss der NZZ. In Teilen des israelisch besetzten Westjordanlandes sei das bereits geschehen.

Sollten gewalttätige Siedlerbanden weiter das Gesetz in die eigene Hand nehmen, würde sich Israel in einen gescheiterten Staat entwickeln, so wie Libanon oder Syrien, zitiert die NZZ Rahat weiter. Israel schöpfe seine Stärke daraus, dass es ein mehr oder weniger demokratischer, funktionierender, westlicher Staat sei, so Rahat.

Netanyahu braucht Ben-Gvir

In Israel scheint man begriffen zu haben, dass sich etwas ändern muss. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass tiefgreifende Veränderungen folgen. Zu sehr ist Premierminister Netanyahu auf die Unterstützung seines rechtsextremen Koalitionspartners Ben-Gvir angewiesen. Und dieser sei nicht kompromissbereit, meint Gideon Rahat gemäss NZZ. «Ben-Gvir fürchtet sich nicht vor einem grossen Krieg – der zum Beispiel durch seine Besuche auf dem Tempelberg ausbrechen könnte», sagt der Politikwissenschafter. Vielleicht wünsche er ihn sich sogar herbei, um dann mit aller Kraft gegen die Araber vorgehen zu können.

Leseempfehlung der Redaktion

Artikel in der NZZ vom 23. August 2024

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