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NZZ-Gastkommentar Ernst Piper: «Alle wussten, was in Auschwitz geschah, aber die Alliierten waren nicht bereit, das Vernichtungslager zu bombardieren – obwohl sie Juden hätten retten können»

Die Alliierten wussten, was in Auschwitz geschah, aber entschieden, militärisch nicht einzugreifen. Sie bombardierten keine Gaskammern, Krematorien oder Eisenbahnstrecken nach Auschwitz, obwohl diese Angriffe technisch möglich gewesen wären. Die Begründungen blieben fadenscheinig.

KZ Auschwitz, Einfahrt Polen 1945 nach der Befreiung
KZ Auschwitz, Einfahrt Polen 1945 nach der Befreiung © Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha CC-BY-SA 3.0

Bahngleise seien schnell wieder repariert oder man habe nichts gewusst. «Die Wahrheit ist, dass solche Angriffe, die nichtmilitärischen Zielen galten und jüdische «Flüchtlinge» gerettet hätten, grundsätzlich nicht gewollt waren», hält Piper fest. Und: «Keines der alliierten Länder war bereit, Initiativen zugunsten der vom Tod bedrohten Juden zu ergreifen, sei es durch Bombardierung von Auschwitz oder durch die grosszügige Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge».

Stalins Führung, die schon durch die unmittelbare geografische Nähe sehr gut über die deutschen Massaker an der Zivilbevölkerung und insbesondere an der jüdischen Minderheit in den besetzten Gebieten informiert gewesen sei, habe sich lediglich dafür eingesetzt, die Deportationen sowjetischer Häftlinge zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich zu verhindern, damit sie als Arbeitskräfte erhalten blieben.

Die britische Regierung war bemüht, das Schicksal der verfolgten Juden aus dem Narrativ ihrer Kriegsführung herauszuhalten, und das Aussenministerium weigerte sich, die Berichte der polnischen Exilregierung über Auschwitz zu bestätigen. Die Amerikaner wiederum blockierten Bitten um Luftangriffe auf Bahngleise und weigerten sich, ein Notaufnahmelager in Nordafrika einzurichten – aus Angst, dies könnte die arabische Bevölkerung verärgern.

Dabei hatten die Alliierten bereits ab 1940 verschiedene Enigma-Codes der Achsenmächte entschlüsselt, darunter auch den geheimen Funkverkehr der SS. Der britische Geheimdienst registrierte so auch die grosse Zahl jüdischer Häftlinge, die nach Auschwitz deportiert wurden.

Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess spielte das Thema Auschwitz keine zentrale Rolle, allerdings präsentierte die sowjetische Anklage einen Bericht, der die Verbrechen der deutschen Regierung in Auschwitz beschrieb. Der Bericht erwähnte laut Pieper ein «riesiges Lager» zur Vernichtung sowjetischer Menschen, sprach jedoch auch von Opfern aus ganz Europa, ohne das Wort «Juden» zu verwenden. Ursprünglich sollte der Bericht im Schwarzbuch von Wasili Grossman und Ilja Ehrenburg über den Genozid an sowjetischen Juden erscheinen. Trotz Selbstzensur der Herausgeber wurde das Schwarzbuch von der stalinistischen Zensur verboten. Die russische Originalausgabe erschien nie, eine deutsche Übersetzung erst 1994.

Ernst Piper ist Professor für neuere Geschichte an der Universität Potsdam.

Gastbeitrag Ernst Piper in der NZZ vom 27.1.2025 «Alle wussten, was in Auschwitz geschah, aber die Alliierten waren nicht bereit, das Vernichtungslager zu bombardieren – obwohl sie Juden hätten retten können»

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