25. Juli 2025
Kämpferin für ihr Land und die Wahrheit
Von Sacha Wigdorovits
Die graublauen Augen hinter den grossen Brillengläsern blicken aufmerksam. Wenn die zierliche Frau spricht, so wirkt sie nachdenklich und sind ihre Worte wohlüberlegt. So wie es sich für eine ausgebildete Juristin gehört.
Aber dieser Eindruck darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass man einer grossen Kämpferin gegenübersteht. Einer Kämpferin für ihr Land, Israel, und für die Sache der Juden in der Diaspora.
Als Ifat Reshef, im November 2021, 53-jährig, ihre Stelle als Botschafterin des Staates Israel in der Schweiz antrat, hätte sie sich in ihren schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen können, was knapp zwei Jahre später über sie hineinbrach.
Doch nach dem 7. Oktober 2023 war die Welt auch für sie nicht mehr dieselbe. Von einer Stunde auf die andere wurde die Vertreterin des jüdischen Staates zu einer der gefragtesten Interviewpartnerinnen für die Schweizer Medien.
Anfänglich, als in der schweizerischen Öffentlichkeit das Entsetzen über das Massaker der palästinensischen Terrororganisation Hamas an über 1’200 israelischen Babys, Kindern, Frauen und Männern gross war, konnte Ifat Reshef bei den Medien auf Sympathie und Mitgefühl zählen.
Aber sie wusste schon damals, dass dies nicht von Dauer sein würde. «Täuschen Sie sich nicht, es werden harte Zeiten auf uns zu kommen», sagte sie mir einmal, als wir uns wenige Wochen nach dem 7. Oktober zu einer kurzen Aussprache trafen.
Sie sollte Recht behalten: Je länger der Krieg in Gaza dauerte, desto mehr Opfer gab es unter den palästinensischen Zivilisten. Und desto mehr musste sich Ifat Reshef kritische Fragen über das Vorgehen der israelischen Regierung und der israelischen Armee gefallen lassen.
Sie scheute nie davor zurück, sie zu beantworten. Ifat Reshef gab mehr Interviews, stand Journalisten öfters Red und Antwort als je eine ausländische Diplomatin zuvor in unserem Land.
Dabei kühlen Kopf zu bewahren und sachlich zu bleiben, war für sie oft schwierig. Denn sie wurde von den Medienschaffenden mitunter mit Fragen oder Feststellungen konfrontiert, die von völliger Unkenntnis der Realität im Nahen Osten zeugten.
Dann beispielsweise, wenn sie sich belehren lassen musste, dass Gewalt – sprich der Krieg Israels gegen Hamas – nie eine Lösung sei. Wie wenn einer Terrororganisation, welche sich die Vernichtung eines Staates und Volks in die Verfassung geschrieben hat, mit anderen Mitteln beizukommen wäre!
Ifat Reshef liess sich von keiner noch so naiven Feststellung oder vorgefassten, oft auf Hamas-Propaganda beruhenden Frage aus der Ruhe bringen. Sie beantwortete sie alle. In einer Klarheit und Deutlichkeit, die im Gegensatz zur sonst in diplomatischen und politischen Kreisen meist üblichen Sprache stand.
Dabei erinnerte sie immer wieder an einen Umstand, der von den meisten Medien und von der Politik je länger, je mehr vergessen ging oder bewusst totgeschwiegen wurde: Es war die Hamas, die diesen Krieg verursacht hatte.
In den Medien, an den Hochschulen und auf der linken Seite des politischen Spektrums wurde immer öfter Israel zum Schuldigen gestempelt und die Palästinenser wurden zu Opfern hochstilisiert.
Umso deutlicher stellte Ifat Reshef deshalb klar: Es war die Hamas, die am 7. Oktober ein unsägliches Massaker an der israelischen Zivilbevölkerung verursacht hatte. Es war die Hamas, die damals 250 israelische Geiseln genommen und nach Gaza entführt hatte.
Immer wieder wies sie auch darauf hin, dass es die Hamas war, die ihre eigene Bevölkerung als Schutzschilde missbrauchte und damit bewusst den Angriffen Israels aussetzte. Dass es die Hamas war, die ihre Tunnels unter Wohngebieten gebaut hatte. Und dass es die Hamas war, die Schulen und Spitäler als Tarnung für ihre Operationszentralen oder Raketenabschussbasen missbrauchte.
Kurzum: Dass die Hamas schuld am Leid war, dass der Krieg in Gaza verursachte. Und nicht Israel.
Ifat Reshef erkannte bald, dass Worte allein nicht ausreichten, um das aus Naivität, fehlender Kenntnis oder Böswilligkeit konstruierte falsche Narrativ zu korrigieren, wonach die Palästinenser die Opfer und die Israelis die Täter seien.
Getreu dem Motto «Ein Bild – und erst recht ein Video – sagt mehr als tausend Worte» lud sie deshalb Schweizer Journalisten ein, sich die Aufnahmen anzuschauen, welche die Hamas-Terroristen mit ihren Handys und Bodycams gemacht hatten, als sie am 7. Oktober Israel überfielen.
Es waren entsetzliche Videos. Sie zeigten, wie die Mörder Babys und ihre Eltern aneinanderfesselten und anschliessend anzündeten, wie sie israelische Frauen vergewaltigten, verstümmelten und danach bestialisch ermordeten, wie sie die Leichen von getöteten Israelis in Gaza stolz der begeistert johlenden Menge präsentierten und ihnen vor aller Augen die Köpfe abschnitten.
Während die Soldaten der IDF in Gaza kämpften und später auch im Libanon, kämpfte Ifat Reshef genauso zäh und unermüdlich in der Schweiz an der Medien- und Politfront. Aber im Gegensatz zu ihren Landsleuten im Feld kämpfte sie allein. Gegen die stete Verdrehung der Tatsachen, für die Wahrheit.
Dabei wandte sie sich nicht bloss an die Medien und via diese an die Schweizer Politik und Öffentlichkeit. Sie war auch den Schweizer Juden eine gute Freundin. Sie nahm an vielen Veranstaltungen der jüdischen Gemeinschaft in der Schweiz teil.
Dort sah man bisweilen, wie sehr Ifat Reshef das am 7. Oktober Geschehene und all das, was danach folgte, persönlich zusetzte und wie stark sie darunter litt. Leider nur sehr selten bot sich ihr in den letzten zwei Jahren auch einmal die Gelegenheit, ihren stillen Humor zu zeigen, und sah man sie einmal kurz lächeln.
Ifat Reshef ihrerseits sah, wie der nach dem 7. Oktober auch bei uns aufflammende Antisemitismus vorab von islamistischer und linker Seite den Schweizer Juden zu schaffen machte und weiterhin macht.
Sie erlebte die Messerattacke eines 15-jährigen tunesisch-stämmigen Islamisten in Zürich auf einen orthodoxen Juden. Sie wurde Zeugin von antisemitischen Verboten und tätlichen Angriffen auf Juden in Davos. Sie hörte, wie an Schweizer Universitäten fanatisierte Studenten die Auslöschung Israels forderten und auch auf Schweizer Strassen mit dem Ruf «From the river to the sea» zur Vernichtung des jüdischen Staates aufgerufen wurde – oft mit dem Segen oder gar im Beisein linker Spitzenpolitiker.
Sie sah, wie unlängst in Bern die Polizei Teilnehmer eine unbewilligten Palästina-Demonstration vor der dortigen Synagoge mit Tränengas und Gummischrot stoppen musste. Und wie in Luzern ebenfalls vor kurzem eine Gruppe orthodoxer jüdischer Studenten von einem Mann mit den Rufen «Tod den Juden» und Free Palestine» mit einem Messer bedroht wurde.
Diese Aktionen veranschaulichten Ifat Reshef, wie der offen ausgelebte Antisemitismus bei uns angestiegen ist und bedrohliche Formen angenommen hat. Insbesondere in islamistischen und den damit verbündeten linken Kreisen.
Und es hat ihr vor Augen geführt, wie stark das Schicksal der Juden in der Schweiz mit jenem von Israel verbunden ist. Ob sie es wollen oder nicht.
Nach vier Jahren ist Ifat Reshefs Zeit als israelische Botschafterin in der Schweiz jetzt zu Ende gegangen. Nächste Woche wird sie in ihre Heimat zurückkehren.
Die Schweiz verliert mit ihr eine grosse Bewunderin. Zwischendurch sah sich Ifat Reshef zwar gezwungen, unser Land zu kritisieren, wenn es sich in der UNO auf die Seite der Israelgegner stellte und den jüdischen Staat einseitig verurteilte.
Aber sie machte nie ein Hehl daraus, wie sehr ihr die Schweiz und insbesondere auch unser politisches System gefielen. Diese Bewunderung und die Dankbarkeit, die sie trotz aller Widrigkeiten für ihre vier Jahre in unserem Land empfand, betonte sie jetzt auch bei einer inoffiziellen Abschiedsfeier in Zürich.
Die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz verliert mit Ifat Reshef eine Freundin, die ihr ans Herzen gewachsen ist. Der Staat Israel seinerseits verliert eine Fürsprecherin, die in der denkbar schwierigsten Zeit unermüdlich für seinen Ruf und seine Existenzberechtigung gekämpft hat.
Es war, wie es auf Englisch heisst, eine «Uphill battle against the sun», ein Kampf unter schwierigsten Umständen. Aber Ifat Reshef hat ihn nie aufgegeben. Dafür gebührt ihr unsere Anerkennung und unser aller Dank.
Sacha Wigdorovits ist Präsident des Vereins Fokus Israel und Nahost, der die Webseite fokusisrael.ch betreibt. Er studierte an der Universität Zürich Geschichte, Germanistik und Sozialpsychologie und arbeitete unter anderem als USA-Korrespondent für die SonntagsZeitung, war Chefredaktor des BLICK und Mitbegründer der Pendlerzeitung 20minuten.