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Markus Somm: «Virtuose der Schwäche»

Am Dienstag schoss der Iran 181 ballistische Raketen auf Israel, die meisten wurden abgewehrt, ein Mensch starb, allerdings war es ein Palästinenser, kein Israeli. Immerhin, es hatte ein Krieg angefangen zwischen zwei Staaten, die beide bis an die Zähne bewaffnet sind.

Am Mittwoch fragte ein Journalist den amerikanischen Präsidenten, ob er einen Schlag der Israelis gegen die Atomanlagen des Iran unterstütze: «Die Antwort ist Nein», sagte Joe Biden, nachdem er wiederholt betont hatte, Israel habe jedes Recht, sich zu verteidigen. Als er am Donnerstag von Journalisten befragt wurde, ob Israel die Ölanlagen des Iran bombardieren dürfe, entgegnete er: «Ja, wir diskutieren das. Ich denke, das wäre ein bisschen – na ja», brach er ab, um zu sagen: «Heute passiert nichts.» Kurz darauf schoss der Rohölpreis um 5 Prozent in die Höhe. Die Märkte rechneten mit dem Schlimmsten.

Wer sich fragt, warum in der Amtszeit von Joe Biden zwei große Kriege ausgebrochen sind, und manche Kenner gar einen dritten erwarten, den man dann als Weltkrieg bezeichnen könnte, der muss sich bloss anhören, wie Biden kommuniziert, wenn die Welt vor dem Untergang steht: konfus, widersprüchlich, hin und her. Er mag es ja gut meinen und eine Eskalation vermeiden wollen, tatsächlich löst er so Kriege aus. Der Mann ist kein Garant für Sicherheit, sondern ein Garant für Chaos. Amerika, die Unordnungsmacht.

Das ist das eine. Das andere ist ein Muster, das wir nur erleben, wenn es Israel betrifft: Es verging kein Tag, nachdem eine ruchlose Diktatur den einzigen demokratischen und westlichen Staat im Nahen Osten angegriffen hatte, ohne dass Joe Biden die Israelis darüber belehrte, wie sie sich zu wehren oder vor allem: nicht zu wehren hatten. Man stelle sich vor, Russland hätte am Dienstag Polen mit 181 Raketen überfallen. Wäre Biden schon am Mittwoch zur Stelle gewesen und hätte Polen angewiesen, den Konflikt ja nicht zu eskalieren? Wann immer Israel nach einer Attacke versucht, sich zu verteidigen, flöten die westlichen Politiker: «Ja, natürlich dürft ihr das, aber…» – und dann folgen diverse Bedingungen und Ermahnungen, bis am Ende der Eindruck vorherrscht, nicht Israel sei hier angegriffen worden, sondern man müsse den Iran, die Hamas und die Hizbollah vor den Israelis in Schutz nehmen. Was ist Antisemitismus? Wenn die Juden tun und lassen können, was sie wollen, und trotzdem immer schuld sind.

Der Iran ist seit 1979 ein Land, das seine Nachbarn mit Krieg und Terror bedroht. Niemand schätzt es, alle fürchten es, wenige sind imstande, sich ihm zu widersetzen. Wenn man ein Regime sucht, dem man alles Böse zutraut, dann Iran. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich spreche nicht von den Iranern, einem überaus begabten und kultivierten, uralten Volk, sondern von jener Minderheit von Irrsinnigen, die das Land seit 1979 in ihren Griff bekommen haben – was nicht unvermeidlich war, sondern viel mit dem damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter zu tun hatte, einem Virtuosen der Schwäche, genauso wie es Joe Biden wieder ist. Doch das ist eine andere Geschichte.

Was soll Israel tun? Offenbar steht der Iran unmittelbar vor der eigenen Atombombe. Davor fürchten wir uns schon lange, und alle Versuche, das Regime zur Vernunft zu bringen – ob mit wirtschaftlichem Druck oder verständnisvollem Zureden, sind gescheitert. Was, wenn der Iran schon heute eine Atombombe besäße? Nicht auszudenken, was dann Israel widerfahren könnte. Die Auslöschung des Judenstaats, also ein zweiter Holocaust, wäre wohl die Folge, zumal die Mullahs seit Jahrzehnten genau diesen Todeswunsch äußern. Was hielte sie jetzt davon ab? So gesehen bleibt Israel keine Wahl, streng genommen dem Westen insgesamt: Die Atomanlagen im Iran müssen zerstört werden, solange das noch möglich ist – und wenn es auch frivol klingen mag: Nie war die Gelegenheit günstiger. Der Iran hat selbst den ersten Stein geworfen. 181 Raketen rechtfertigen jeden Gegenschlag.

Gewiss, Israel hat die Atombombe, und der eine oder andere mag einwenden, es sei doch unfair, dass sich der Iran nicht auch eine solche Bombe beschaffe. Moralischer Relativismus. Israel hat noch nie von der Vernichtung der Iraner gesprochen, ebenso finanziert Israel keine Terrorgruppen im Irak oder in Afghanistan, die jeden Iraner töten, der ihnen vor die Flinte läuft.

Joe Biden hätte am besten geschwiegen – oder Ja gesagt.

Markus Somm ist Chefredaktor des «Nebelspalters».

Dieser Kommentar erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 6. Oktober 2024
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Markus Somm: «Virtuose der Schwäche»
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