Erik Petry: «Der Antisemitismus verschwindet nie»
1. Dezember 2024Ist «From the river to the sea» doch strafbar?
Antisemitisch unterfütterte Slogans seien leichtfertig toleriert worden, werfen die Juristinnen Mia Mengel und Vera Rottenberg (Bundesrichterin (1994 bis 2012) kantonalen Staatsanwaltschaften vor, berichtet die NZZ.
Dies gilt insbesondere für den Slogan «From the river to the sea, Palestine will be free», der in den 1960er Jahren von der PLO in Umlauf gebracht worden ist. Er kann als Aufruf zur Auslöschung Israels und zur Vertreibung der jüdischen Bevölkerung verstanden werden und wurde nach dem 7. Oktober auch in der Schweiz immer wieder proklamiert. Entsprechend kam es zu Strafanzeigen. Diese liefen indes ins Leere. Untersuchungen wurden erst gar nicht eröffnet, da eine Nichtanhandnahme verfügt worden war.
Einseitige Auslegung
Während die Strafverfolger argumentierten, dass der Slogan «From the river to the sea, Palestine will be free» sich gegen einen Staat (Israel) richte, der kein Schutzobjekt der relevanten Strafnormen sei, allen voran der Antirassismusstrafnorm (Art. 261bis StGB), argumentieren Mengel und Rottenberg laut der NZZ, dass die Staatsanwaltschaften den geschichtlichen Hintergrund des Slogans und dessen Bedeutung nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober mit lapidaren Aussagen ausgeblendet und einseitig auf den Wortlaut geachtet hätten.
Der Slogan «From the river to the sea» könne zwar tatsächlich unterschiedlich gedeutet werden, sagen Rottenberg und Mengel, aber eben auch als Wunsch nach der Zerstörung Israels, einschliesslich seiner jüdischen Bevölkerung – wenn nicht gar aller Jüdinnen und Juden. «Die gegenwärtige Bedrohungslage von Jüdinnen und Juden weltweit seit dem Terrorangriff lässt diese theoretischen Überlegungen keineswegs unrealistisch erscheinen», argumentieren sie gemäss NZZ.
Opferperspektive bleibt auf der Strecke
Die Häufung von Straftaten gegen jüdische Personen nach dem 7. Oktober, begangen unter Anrufung der Slogans und anderer Sympathiekundgebungen für die Hamas, sei kein Zufall. Die Hamas spricht sich in ihrer Charta von 1988, von der sie sich nie distanziert hat, für die Tötung der Juden aus. Die Auffassung, es liege kein Schutzobjekt vor, sei deshalb nicht einleuchtend, argumentieren Mengel und Rottenberg.
Gänzlich auf der Strecke geblieben sei in der Betrachtungsweise der Staatsanwaltschaften die Opferperspektive von Jüdinnen und Juden. «Allgemein wird die Opferperspektive grossgeschrieben – nicht aber bei Jüdinnen und Juden», kritisiert Vera Rottenberg im Gespräch mit der NZZ.