Warum Israel als Startup-Nation erfolgreich ist
Behauptung
Israel ist im Hightech-Sektor eine Grossmacht.
Die Fakten
Diese Behauptung ist richtig. Israel hat sich seit Mitte der 1980er Jahre kontinuierlich zu einer Grossmacht im Hightech-Bereich entwickelt. Israelische Technologie steckt in jedem Smartphone und in vielen Autos. Aber auch im Bereich der Landwirtschaft oder Entwicklung neuer Nahrungsmittel und im Bereich der Sicherheits- und Militärtechnologie gehört das Land heute zur Weltspitze und beliefert Unternehmen und Staaten rund um die Welt. Die israelische Armee, die Israel Defence Forces IDF, haben einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung.
Wer von Israels grösster Stadt, der Küstenmetropole Tel Aviv mit ihrer Skyline, die an Singapur oder Seattle erinnert, auf der Autobahn nach Norden fährt, der glaubt, in den USA zu sein. Google, Microsoft, Intel, Amazon, Apple leuchtet es in grossen Buchstaben von den Fassaden der modernen Gebäude, welche die Strasse Richtung Haifa säumen. Aber auch zahlreiche Namen, die bei uns nicht bekannt sind, prangen an den Häusern. Sie gehören israelischen Techfirmen.
Willkommen im «Silicon Wadi», dem drittwichtigsten Standort der Welt für Hightech-Startups. Denn nur bei San Francisco in Kalifornien und bei New York befinden sich grössere Hochtechnologie-Zentren als die Küstenregion rund um Tel Aviv.
Der Begriff «Silicon Wadi» leitet sich denn auch wenig überraschend vom bekanntesten Hightech-Standort der Welt, dem Silicon Valley bei San Francisco ab. Wadi heisst «Wüstental» und ist damit die arabische Version des englischen «Valley».
Doch nicht nur im Silicon Wadi wimmelt es von kleinen, mittleren und grossen Hightech-Firmen. Auch in anderen Landesgegenden sind diese anzutreffen.
Bildung im Fokus – Weltklasse-Forschungsstätten
Die Grundlage für Israels wirtschaftlichen Aufschwung bilden die hervorragenden Hochschulen. Das Technion in Haifa ist das israelische Pendent der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH in Zürich oder der EPFL in Lausanne. Auch die Tel Aviv University TAU und die Hebrew University in Jerusalem haben einen erstklassigen Ruf.
Mit dem in Rehovot, vor den Toren Tel Avivs, gelegenen Weizmann Institut besitzt der jüdische Staat ausserdem eines der weltweit führenden Institute für Grundlagenforschung. Drei Nobelpreisträger hat das 1934 gegründete Weizmann Institut bisher hervorgebracht. Es ist auch weltweit gut vernetzt, beispielsweise mit der ETH Zürich oder dem Max-Planck-Institut in Deutschland.
Das hohe Niveau der israelischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen kommt nicht von ungefähr. Israel investiert 7,1 Prozent der öffentlichen Gesamtausgaben in Bildung (2020), mehr als die meisten anderen Länder. In Forschung und Entwicklung investierte das Land im Jahr 2022 6,1 % des Brutto Inland Produkts BIP, das heisst aller im Land hergestellten Güter und Dienstleistungen (2022).
Das zahlt sich aus. Laut dem «Global Innovation Index 2023» liegt Israel punkto Innovationskraft auf dem 14. Platz weltweit. Wo innovative Unternehmen entstehen, fliesst viel Geld. Zwischen 2013 und 2023 haben sich die Investitionen in israelische Firmenneugründungen, sogenannte Startups, auf USD 95 Mrd. (umgerechnet rund CHF 83 Mrd.) verfünffacht. Damit gehört das Silicon Wadi in den letzten zehn Jahren weltweit zu den sechs Standorten mit dem meisten Kapital für Neugründungen – und das in einem Land mit gerade mal 9 Mio. Einwohnern.
Von der Tröpfchenbewässerung bis zu zellbasiertem Fleisch
Tausende Innovationen, die weltweit Fuss gefasst haben, stammen aus Israel. Tröpfchenbewässerung ist ein Beispiel. Dank dieser Methode lassen sich mit 50 Prozent weniger Wasser bis zu 70 Prozent höhere Ernten erwirtschaften.
Dank dieser Methode gehört das Problem der Wasserknappheit in Israel, das zu 60 Prozent aus Wüste besteht, heute der Vergangenheit an. Auch in zahlreichen anderen unter Trockenheit leidenden Weltregionen wird das israelische System inzwischen eingesetzt. Entwickelt hat es 1959 das Unternehmen Netafim mit Sitz in Tel Aviv. Dank sechs grossen Meerwasserentsalzungsanlagen, die 70 Prozent des Trinkwassers produzieren, gehört das Problem der Wasserknappheit in Israel, das zu 60 Prozent aus Wüste besteht, heute der Vergangenheit an.
Ein weiteres Beispiel einer innovativen israelischen Entwicklung, diesmal im Medizinbereich, ist eine 26 Millimeter kleine Kamera, die in einer Pille steckt und geschluckt wird. Dies ermöglicht es den Ärzten, den schwer zugänglichen Dünndarm besser zu untersuchen. 2001 hatte die Firma Given Imaging diese Minikamera der Weltöffentlichkeit vorgestellt. 2015 wurde das Unternehmen bzw. sein Nachfolger vom US-Medtechkonzern Medtronic aufgekauft.
Für die Innovationsfreudigkeit und Offenheit der Israelis für neue Ansätze und Technologien steht auch die Firma Aleph Farms. Das Startup, an dem seit 2019 auch die Migros beteiligt ist, stellt zellbasiertes Rindfleisch her. Während andere Länder noch darüber beraten, ob solche im Labor gezüchteten Fleischprodukte den Konsumenten angeboten werden dürfen, erteilt Israel dem Startup im Januar 2024 als erstes Land der Welt eine Lizenz für den Verkauf im Laden.
Zu den international bekanntesten israelischen Startups gehören die Navi-App Waze, die auch bei uns von Autofahrern genutzt wird, das Fahrerassistenzsystem Mobileye, IronSource für mobile Werbung oder die Netzwerktechnologie von Mellanox Technologies. Diese Unternehmen sie sind entweder an der New Yorker Tech-Börse Nasdaq kotiert oder sie wurden von anderen Firmen aufgekauft.
Abkehr vom Sozialismus und Zuwanderung aus der Sowjetunion
Angesichts des Terrors vom 7. Oktober 2023 ist Israels Wirtschaft und seine Startup Branche geforderter denn je. Die Armee hat mehr als 300 000 Reservisten eingezogen. Sie fehlen jetzt der Wirtschaft und den Jungunternehmen. Der schreckliche Terrorakt im Süden des Landes verunsicherte zudem die Investoren. Das kann für Jungunternehmen bei der Kapitalschaffung problematisch sein.
Und doch: Es gibt kaum einen Staat, der so fähig ist wie Israel, allen Widerständen zum Trotz – vielleicht auch: wegen dieser Widerstände - eine erfolgreiche Wirtschaft aufzubauen und damit Wohlstand für die Bevölkerung zu schaffen. Normalerweise sind politische Stabilität, Frieden und ausreichende natürliche Ressourcen die entscheidende Faktoren für den Aufbau einer erfolgreichen Wirtschaft.
Israel hat nichts von alledem. Doch heute gehört das kleine Land zu den führenden Wirtschaftsnationen der Welt. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf belief sich 2022 auf USD 55’000 (umgerechnet rund CHF 47’000). Das ist mehr als das Zehnfache der pro Kopf erwirtschafteten BIPs in umliegenden Ländern wie Ägypten, Jordanien und dem Libanon. Dort bewegt sich das BIP pro Kopf bei rund USD 4'300.
2022 lag das Wachstum des realen BIP in Israel bei 6,5%. Für 2023 ist ein Wachstum von 3,1% und für 2024 von leicht über 3% prognostiziert. Der Rückgang hängt mit dem Krieg in Gaza zusammen. Neben dem bereits genannten hohen Ausbildungsniveau insbesondere in technischen Bereichen gibt es noch andere Gründe für die Erfolgsstory der israelischen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten.
Einer dieser Gründe ist die Mitte der 1980er Jahre eingeleitete Abkehr Israels von einer sozialistischen, staatlich gelenkten Wirtschaft hin zu einer zu marktorientierten. Damit ebnete die Politik den Weg vom agrarisch geprägten Staat zu einem diversifizierten Hightech Industrieland. Positiv ausgewirkt hat sich auch die Zuwanderung zahlreicher, gutausgebildeter und hochqualifizierter Juden aus der Sowjetunion nach deren Zerfall Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre.
Die Armee als Inkubator für Hightech-Experten
Ein weiteres wichtiges Element für den wirtschaftlichen Aufschwung ist paradoxerweise die ständige militärische Bedrohung durch feindliche arabische Staaten sowie durch den Iran und die von diesem unterstützten Terrororganisationen.
Denn diese konstante Gefährdung hat dazu geführt, dass die israelische Armee stark in die Ausbildung von Spezialisten im IT-Bereich sowie in die Entwicklung neuer Technologien investierte und weiterhin investiert. «Wir müssen nicht in die Muskeln der Soldaten investieren, sondern in deren Hirn», sagte der frühere israelische Premierminister und spätere Staatspräsident Schimon Peres.
Dies geschieht, indem den besten Schulabgängern jedes Jahrgangs die Möglichkeit geboten wird, in speziellen Einheiten wie der Eliteeinheit IDF 8200 ihren Armeedienst zu leisten. Dort werden sie nicht nur militärisch, sondern auch in technisch-naturwissenschaftlichen Fächern und in Management geschult. Dementsprechend beträgt die Dienstdauer in dieser Hightech-Eliteeinheit mehr als die üblichen drei Jahre für Männer und zwei Jahre für Frauen. Von diesem System profitiert nicht nur die Armee; es erhöht auch die Chancen der so ausgebildeten jungen Frauen und Männer, wenn sie nach Abschluss ihres Armeedienstes in die Wirtschaft überwechseln und oftmals selbst ein Startup gründen.
Dies wiederum ist gut für die Armee und hat Israel auch im Bereich der von Sicherheits- und Militärtechnologie zu einer internationalen Grossmacht werden lassen. Rafael oder Israel Aerospace Industries sind Rüstungsgüter-Hersteller, die weltweit Abnehmer haben. Auch die Schweiz bezieht ihre neusten Aufklärungsdrohnen aus Israel.
Eine der bekanntesten israelischen Entwicklungen im Militärbereich ist das Raketenabwehrsystem Iron Dome (Eiserne Kuppel). Es hat ein grosses Verdienst daran, dass die ständigen Raketenangriffe der Terrororganisationen Hamas und Islamic Jihad aus Gaza in den vergangenen Jahren kaum Schaden anrichteten oder Menschenleben forderten.
2022 investierte Israel 4,5% seines Bruttoinlandprodukts BIP in seine Verteidigungsarmee. Zum Vergleich: Im Verteidigungsbündnis Nato haben viele Bündnispartner Mühe, auch nur schon das anvisierte Ziel von 2% zu erreichen.
Obrigkeitsfeindlich und aufmüpfig wie die Schweizer
Noch ein weiteres Element ist für die Innovationsfähigkeit der israelischen Wirtschaft entscheidend: Die Israelis sind im Allgemeinen gegenüber Obrigkeiten skeptisch eingestellt und scheuen sich nicht – oftmals lautstark – zu hinterfragen, was ihnen von ihren Chefs gesagt wird.
Diese Eigenschaft ist unerlässlich, wenn es darum geht, innovativ zu sein. Denn Innovationen kommen in der Regel nicht von oben, sondern von der Basis. Aber nur wenn die Basis sich getraut, das in Frage zu stellen, was ihr von oben verordnet wurde, verschafft sie sich Gehör und kann mit kreativen Ideen zur Innovation beitragen.
In dieser Hinsicht, ebenso wie bezüglich der guten Ausbildung, haben Israelis und Schweizer viel gemeinsam. Es ist deshalb kein Zufall, dass beide Länder zu den innovativsten der Welt gehört.
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