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«Die IDF lernt, indem sie sich von Tunnelschacht zu Tunnelschacht durchkämpft»

Der folgende Bericht ist die Zusammenfassung einer Reportage des israelischen Journalisten Ron Ben Yishai von der Nachrichtenplattform «Ynetnews», der bei den Kämpfen in Khan Yunis im Gazastreifen das Bataillon 9 der israelischen Streitkräfte IDF begleitete. 

Der Panzerturm des stellvertretenden Kommandeurs des 9. Bataillons ist ein hervorragender Beobachtungsposten, nicht nur für den Stadtteil «Hamed Towers» am nordwestlichen Stadtrand von Khan Yunis, sondern auch für die Entwicklungen, die sich dank der Fähigkeiten und der Erfahrung der IDF in den letzten fünf Monaten in den Kampfhandlungen ergeben haben.

Ich habe dies mit eigenen Augen gesehen, als ich an der Razzia in dem Viertel teilnahm, das von Qatar für die Hamas-Regierung im Gazastreifen finanziert wurde: fünfstöckige Gebäude mit geräumigen Wohnungen, Tiefgaragen und Klimaanlagen, aber auch Öffnungen, die zu Tunneln unter dem Viertel führen, die integraler Bestandteil der Bauvorschriften waren.

Oberstleutnant Nati, der Kommandeur des 9. Bataillons, ist Panzerfahrer, aber die Kampfgruppe unter seinem Kommando bestand an diesem Tag hauptsächlich aus Infanteristen der Givati-Brigade. Als ich mich dem Ziel näherte, hörte ich, wie der Pilot eines Kampfhubschraubers fast flehentlich um Ziele bat, und der Operator einer Kampfdrohne fragte, ob seine Hilfe bei der Verfolgung eines Terroristen benötigt würde, der auf die Truppen gestossen und entkommen war.

Hinter den Panzern fuhr ein gepanzerter Krankenwagen, in dem die Sanitäterin hoffte, keine Arbeit zu haben. Es gab auch ein Panzer-Bergungsfahrzeug für den Fall, dass einer der Panzer im Kampf stecken bleiben sollte. Überwachungsflugzeuge, die über dem Gebiet kreisten, lieferten dem Kommandeur und anderen Offizieren in Echtzeit Vollbildinformationen über das Schlachtfeld.

Neue Art von Krieg und Kriegsführung

Die israelischen Streitkräfte haben seit Beginn der verstärkten Kontrolle des Gazastreifens am 28. Oktober viel gelernt. Dies zeigt sich in der engen Integration zwischen den Hauptkomponenten der Luft- und Bodentruppen, in der Fähigkeit, während des Kampfes Informationen zu sammeln und diese innerhalb von Minuten in operative Massnahmen umzusetzen. Und in der Fähigkeit, den Kampf in bebautem und dichtem Gelände zu führen und dabei unvorstellbare Mengen an Feuerkraft aller Art zu erzeugen.

Die Art und Weise, wie die IDF heute Krieg im Gazastreifen führt, ist weltweit einzigartig und beispiellos ist. Das liegt nicht nur daran, dass auf zwei Ebenen – über und unter der Erde – gekämpft wird. Es hängt auch mit der Art und Weise zusammen, wie ihr Gegner, die Hamas, innerhalb der Zivilbevölkerung und den staatlichen und humanitären Einrichtungen operiert.

Gemäss der Operationsmethode der Hamas sind diejenigen, die sogenannten «Nichtkombattanten» integraler Bestandteil des Schlachtfeldes – unabhängig davon, ob sie in ihren Häusern bleiben oder zu Vertriebenen werden. Die israelischen Streitkräfte sind dadurch gezwungen, unter erheblichen Einschränkungen zu operieren. Sie ergeben sich aus dem Völkerrecht und der Sorge um das Schicksal der am 7. Oktober 2023 von der Hamas entführten Geiseln. Dies verlangsamt das Tempo der Kampfhandlungen erheblich.

Aussagen von Hamas-Gefangenen deuten darauf hin, dass die Terrororganisation nicht wirklich daran glaubte, dass die IDF jemals eine gross angelegte Offensive starten und den Gazastreifen wieder besetzen würde. Die Hamas glaubte vielmehr, dass die Israelis Verluste und Gefangene bei Bodenkämpfen zu sehr fürchten und daher keine Bodeninvasion wagen würden.

Sinwar und Mohammed Deif (die Oberbefehlshaber der Hamas, Red.) richteten ihre Streitkräfte in erster Linie auf die Abwehr eines gross angelegten Luftangriffs der IDF aus, wie er während der Operation «Guardian of the Walls» im Mai 2021 stattfand. Aus diesem Grund investierten sie den Grossteil ihrer Anstrengungen in den Bau von Tunneln und unterirdischer Infrastruktur zur Steuerung und Kontrolle.
 
Ungeachtet dessen bereitete sich die Hamas aber auch auf einen Guerillakrieg vor, der sich auf Bataillone und Kompanien von Einheimischen stützte. Zu diesem Zweck wurden Kampfeinrichtungen geschaffen, die Angriffe auf IDF-Truppen mit Sprengstoff, Panzerabwehrraketen, Panzerfäusten und Scharfschützen ermöglichten, während sich Hamas-Agenten in unterirdischen Kampftunneln versteckten,  um die IDF-Truppen von dort aus anzugreifen.

Oberirdisch hatte Hamas zudem Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Wohnungen und Häusern mit Waffenverstecken, Sprengstoff, leichten Mörsern, Panzerfäusten, Panzerabwehrraketen und persönlicher Ausrüstung wie Schutzwesten und Uniformen präpariert. Einige dieser Verstecke befanden sich in zwei- oder dreistöckigen Wohnhäusern, andere in höheren Gebäuden.

Die Hamas-Kämpfer konnten diese Häuser oder nahe gelegene Gassen durch Tunnel und Öffnungen erreichen, während sie sich als unbewaffnete Zivilisten ausgaben, und sobald sich die IDF näherte, drangen sie in die als Waffendepots vorbereiteten Wohnungen ein, nahmen Waffen und Kampfausrüstung an sich und begannen den Kampf über Tage.

In Gebäuden des Gazastreifens, die in den letzten Jahren gebaut wurden, wurden bereits während der Bauplanung Öffnungen gegraben, wahrscheinlich parallel zum Graben von Tunneln unter den Gebäuden. Dazu gehören neue Flügel in zentralen Krankenhäusern wie dem Shifa und dem Indonesian Hospital und sogar das UNRWA-Hauptquartier.

Enge Zusammenarbeit von Geheimdienst und Armee

Eine der wichtigsten Errungenschaften der IDF ist ihre Fähigkeit, während des Kampfes schnell Informationen zu sammeln, um die Schächte zu lokalisieren, die zu den Tunneln und den vorbereiteten Raketenwerfern führen. Dies ist auf die Zusammenarbeit von IDF und dem Inland-Geheimdienst Shin Bet zurückzuführen, insbesondere nach dem 7. Oktober 2023.

Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Shin Bet und den IDF liefert den Streitkräften Ziele für ihre Angriffe und ermöglicht es ihnen, eine statische Präsenz an einem Ort zu vermeiden, was sie gegenüber Angriffen von Terroristen verwundbarer gemacht hätte. Dank nachrichtendienstlicher Aufklärung können die IDF ausserdem bisher unbekannte Tunnel und Abschussstellen in Gebieten aufspüren, die bereits gesichert scheinen.

Aber es geht nicht nur um Aufklärung: Die Entwicklung von Kampfmethoden für unterwegs ermöglicht es den Spezialeinheiten der IDF, mit oder ohne die operative Mitwirkung des Shin Bet, in den Tunneln zu kämpfen und an Orte vorzudringen, die die oberirdischen Verbände noch nicht erreicht haben. Dies geschieht mit Hilfe von Robotern, verschiedenen Arten von Drohnen und auch Hunden.

Ein wichtiger Aspekt der Kampfmethoden der Hamas ist ihre Fähigkeit, unerwartet aus den Tunnels aufzutauchen, Truppen mit Panzerfäusten zu beschiessen und dann wieder zu verschwinden. Terroristen, die aus einem Tunnel hervorkommen, oder sich mit Panzerfäusten zwischen Häusern bewegen, werden oft von den Überwachungspositionen der Bodentruppen oder vom Piloten einer Angriffsdrohne entdeckt, der die Kämpfer am Boden wie ein Schutzengel aus der Luft begleitet.

Werden Terroristen ausgemacht, dann werden sie durch eine von der Drohne abgefeuerte Rakete neutralisiert. Dies geschieht sowohl bei Tag als auch bei Nacht. Manchmal greift auch ein in der Nähe kreisender Kampfhubschrauber, meist von israelischem Gebiet aus, mit einer Luft-Boden-Rakete ins Kampfgeschehen ein, beispielsweise um Terroristen zu eliminieren, die mit einer Panzerabwehrrakete aus Gebäuden die IDF-Truppen beschiessen.

Eine derart enge Einbindung der Luftwaffe in den Bodenkampf am Boden hat es bisher weder bei den israelischen Streitkräften noch bei ausländischen Armeen gegeben.
Die integrierte und verfeinerte Zusammenarbeit zwischen den Truppengattungen, einschliesslich der umfassenden Nutzung der operativen Kommunikation bis hinunter zur Ebene der Abteilungs- und Klassenkommandeure, ermöglicht es den israelischen Streitkräften, Terroristen aufzuspüren, selbst wenn sie nur kurz aus den Tunnels auftauchen.

Schwierige Evakuation der Zivilbevölkerung

Als die IDF ihren Angriff im Gazastreifen vorbereitete, evakuierte sie zuerst unbeteiligte Zivilisten aus dem nördlichen Teil des Streifens durch Telefonwarnungen, Flugblätter und andere Mittel. Danach riss sie die hohen Gebäude ab, in denen die Hamas ihre Aussenposten errichtet hatte.

Dasselbe geschah danach genau gleich in Khan Yunis. Die israelischen Streitkräfte griffen zuerst am Rand von Khan Yunis an, um der Bevölkerung zu signalisieren, dass sie das Gebiet verlassen solle. Um zu verhindern, dass auch Terroristen fliehen, hat die israelische Armee «Checkpoints» eingerichtet, welche beim Verlassen eines Gebietes passiert werden müssen.

Erst wenn die meisten unbeteiligten Zivilisten evakuiert sind, beginnt der Beschuss aus der Luft und durch Panzer auf jene Gebäude, die von der IDF und dem Shin Bet als Standort von Hamas-Kämpfern identifiziert wurden. Danach dringen die Infanterie und mechanisierten Verbände vor.

Ein wichtiger Faktor, der zur grossen Zerstörung in Gaza beiträgt, sind die strategischen Tunnels und langen Kampftunnels, die unter Wohn- und Bürogebäuden in dicht besiedelten Städten und Siedlungen verlaufen. Die Zerstörung dieser Tunnels erfolgt grösstenteils durch Explosionen, die die Gebäude über ihnen zum Einsturz bringt. Dieses Vorgehen ist einer der Gründe für die relativ geringe Zahl von Opfern unter den IDF-Soldaten.

Der von der Hamas in zahlreichen Gebäuden versteckte Sprengstoff, die zerstörten Tunnels und der Luft- und Bodenbeschuss durch die israelische Armee haben dazu geführt, dass etwa 70 Prozent der Gebäude im nördlichen Teil des Gazastreifens nicht mehr bewohnbar sind. 

Geringere Verluste als befürchtet – Geiselbefreiung kaum möglich

Vor Beginn des Bodenkrieges wurden in Israel Befürchtungen laut, dass der Einmarsch in Gaza innerhalb der Armee Tausende von Opfern fordern würde. Diese Prognosen haben sich als falsch erwiesen. Denn im Gegensatz zum Beginn des Krieges tappen die IDF-Kräfte bei ihrem Vorrücken nicht mehr im Dunkeln, sondern wissen, wohin sie gehen müssen und wie sie einen Tunnelschacht identifizieren können.

Ein weiteres wichtiges Element für die Sicherheit der eigenen Truppen ist ihre personelle Verdünnung. Anstelle von drei oder sogar vier Brigaden, die zu Beginn des Bodenkrieges in Gaza operierten, sind es jetzt nur noch zwei schlanke Brigaden, die von fünf Bataillonskampfteams (BCT) geführt werden.

Das reduziert die Gefahr von Kreuzfeuer. Zu Beginn des Krieges waren etwa 13 Prozent der israelischen Verluste auf Kreuzfeuer zurückzuführen. Dies hing mit der grossen Anzahl von Soldaten zusammen, die auf engstem Raum operierten. Heute liegt der Anteil der Opfer von «friendly fire» im einstelligen Prozentbereich.

In der Anfangsphase des Bodenkriegs m Gaza konzentrierte sich die israelische Armee darauf, den organisierten Widerstand der Bataillone und Kompanien der Hamas zu brechen. Dies gelang dank massiver Feuerkraft und einem erheblichen quantitativen Vorteil an Präzisionswaffen und Infanteriekräften. Zugute kam der IDF dabei, dass die Hamas anfänglich mit jeweils zehn oder mehr Kämpfern versuchte, sich den IDF-Kräften von Angesicht zu Angesicht zu stellen. Nicht erreicht haben die israelischen Streitkräfte bisher aber die Freilassung aller am 7. Oktober 2023 entführten Geiseln. Und die Aussichten, diese Befreiung mit militärischen Mitteln zu erreichen, sind nach wie vor gering.

Konflikt zwischen Sicherheitsapparat und rechten Parteien

Vor allem in rechten Kreisen der israelischen Regierungskoalition werden zunehmend Stimmen laut, die als Antwort auf den mörderischen Anschlag vom 7. Oktober eine emotional motivierte und für Generationen abschreckende Straf- und Vergeltungskampagne fordern.

Die israelischen Sicherheitskräfte lehnen dies ab. Denn im Sicherheitsapparat weiss man, wie wichtig die Legitimität (Einhaltung des Völkerrechts, Red.) und die internationale Unterstützung sind. Zumal es sein kann, dass der Krieg gegen Hamas länger dauern und sich unter Umständen durch den Konflikt mit der Hisbollah im Libanon auch auf den Norden des Landes ausweiten wird. 

Redaktion
 «Die IDF lernt, indem sie sich von Tunnelschacht zu Tunnelschacht durchkämpft»
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