3. November 2025
NZZ-Gastkommentar: Eigentlich gibt es keine Lösung
Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern hat System, und eben darin besteht das fundamentale Problem. Gastkommentar von Hussein Aboubakr Mansour.
(Kurzfassung) Im Krieg um Gaza von «Israeli und Palästinensern» zu sprechen, sei «nicht einfach nur eine Vereinfachung, es ist Teil einer globalen Fiktion», schreibt Hussein Aboubakr Mansour, Research Fellow am Institute for the Study of Global Antisemitism and Policy in New York. Die verbreitete Formel von «zwei Völkern mit zwei Ansprüchen auf dasselbe Land» sei zum «Grundmythos des internationalen Diskurses» geworden – moralisch handlich, intellektuell ergiebig und politisch nützlich.
Der Konflikt sei jedoch längst kein bilateraler Streit mehr, der sich durch «Verhandlungen, internationalen Druck oder diplomatisches Geschick» lösen liesse. Er sei vielmehr ein «strukturelles Merkmal regionaler und globaler Systeme», das weiterbestehe, weil es die bestehenden Machtverhältnisse und Interessen spiegle. «Der Konflikt schwelt weiter, weil er Funktionen erfüllt», so Mansour.
USA: Spiegel innerpolitischer Kämpfe
Iran etwa instrumentalisiere Palästina, um Israel zu schwächen und die USA aus der Region zu drängen; Katar nutze den Konflikt zur globalen Profilierung über Medienmacht und Soft Power; Ägypten verwalte Gaza als «Druckventil», das je nach politischer Lage «reguliert, monetarisiert und instrumentalisiert» werde. Auch westliche Institutionen und NGO seien Teil des Systems: Sie zielten nicht auf Lösung, sondern auf «Management» – nicht aus böser Absicht, sondern weil die Krise ihre «Budgets, ihr Selbstbewusstsein und ihre Daseinsberechtigung» sichere.
In den USA diene der Konflikt inzwischen als Spiegel innenpolitischer Kämpfe: Die Demokraten seien gespalten zwischen zentristischer Führung und «aktivistischer Linken», die Palästina als symbolisches Theater für eine Kritik an der amerikanischen Vorherrschaft, an Rassismus und dem Kapitalismus nutze. Die Republikaner machten Israels Unterstützung zum Symbol einer «zivilisatorischen Erzählung» von westlicher Identität und Anti-Woke-Ideologie. «Es geht nicht mehr um den Nahen Osten, sondern zunehmend um Amerika selbst.»
Bühne mit dem Stück verwechseln
Mansour schreibt: «Den Konflikt als bilateralen Streit zu bezeichnen, heisst, die Bühne mit dem Stück zu verwechseln.» Die entscheidende Frage sei nicht, warum er ungelöst bleibe, «sondern warum wir weiterhin so tun, als sei eine Lösung in Sicht – obwohl gerade die Nichtlösung seine massgebliche Funktion ist». Der Konflikt werde «nicht zufällig aufrechterhalten», sondern diene den unterschiedlichen Akteuren – regionalen Mächten, Institutionen, Ideologen und Bürokratien – als strategisches und symbolisches Terrain.
Kurzzeitig habe die Trump-Regierung mit den Abraham-Abkommen versucht, diese Logik zu durchbrechen, indem sie den Konflikt von der Regionalpolitik abkoppelte und arabische Normalisierung mit Israel vorantrieb. «Der Ansatz war mutig und kohärent», schreibt Mansour. Doch das Momentum sei verloren gegangen – die strukturellen Zwänge hätten sich erneut durchgesetzt.
Quelle: NZZ vom 25. Oktober 2025 (Bezahlschranke)
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