31. Juli 2025
Drohungen führen zu keiner Zwei-Staaten-Lösung
Von Sacha Wigdorovits
Der französische Präsident Emmanuel Macron und britische Premierminister Keir Starmer drohen Israel, Palästina einseitig als Staat zu anerkennen, falls der jüdische Staat den Krieg gegen die Hamas nicht sofort beende und Friedensverhandlungen mit ihr beginne.
Also mit jener Terrororganisation, die am 7. Oktober 2023 im grössten Pogrom seit Ende der Naziherrschaft mehr als 1200 Juden, aber auch Christen und Muslime, auf grausamste Art misshandelt und ermordet sowie 251 weitere als Geiseln entführt hat.
Es liegt auf der Hand, dass eine Anerkennung des Staates Palästina unter diesen Umständen moralisch-ethisch eine Ungeheuerlichkeit darstellt.
Dies gilt insbesondere für Grossbritannien, das in Nordirland während Jahrzehnten selbst unter dem Terror der Irisch-Republikanischen Armee IRA litt und sich ihm nicht beugte.
Wenn zwei führende Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft Massenmord auf diese Weise belohnen, dann öffnet dies bezüglich des weltweiten Terrorismus die Büchse der Pandora.
Weshalb soll Putin dann bestraft werden, wenn er systematisch die Zivilbevölkerung in der Ukraine mit Raketen und Drohnen terrorisiert? Weshalb soll man ihn stattdessen für seine Kriegsverbrechen nicht mit einem grossen Stück ukrainischen Territoriums belohnen? Um nur ein Beispiel zu nennen.
Vor allem aber: Was genau bedeutet eine Anerkennung Palästina durch Frankreich und Grossbritannien – sowie durch Spanien und Irland, um zwei weitere europäische Länder zu nennen, die dies schon getan haben – in der Realität? Und was soll danach geschehen?
Im Teilungsplan der UNO von 1947 ist als ein zusätzlicher arabischer (nicht: palästinensischer) Staat das Gebiet des Westjordanlandes zusammen mit Gaza vorgesehen.
Eine der Fragen lautet nun: Wer sollte in der jetzigen Situation diesen Staat «Palästina» regieren?
Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), welche unter der Führung ihres 89-jährigen, vor 20 Jahren letztmals demokratisch gewählten Präsidenten Mahmud Abbas für die Verwaltung des Westjordanlandes zuständig und bei der dortigen Bevölkerung wegen ihrer Unfähigkeit und Korruption verhasst ist?
Die Hamas, die nach einem Rückzug Israels aus Gaza dort wieder die Macht übernehmen würde?
Beides ist undenkbar. Zumal sich die beiden verfeindeten Gruppierungen auch gegenseitig nie akzeptieren würden.
Würden sich stattdessen Frankreich und Grossbritannien – die im Nahen Osten bereits zu Zeiten des Völkerbundes Mandatsmächte waren – personell, finanziell und militärisch engagieren, um ein friedliches und demokratisches palästinensisches Staatswesen aufzubauen?
Oder die UNO, die damit schon bisher versagt hat?
Auch diese beiden Lösungen sind völlig unrealistisch.
Wenn schon, dann wäre in einem geeinten Palästina am ehesten eine auf lange Sicht ausgelegte panarabische Regentschaft denkbar. Aber so lange die Hamas nicht besiegt und entwaffnet ist, werden sich Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten hüten, ein solches gemeinsames Mandat zu übernehmen.
Eine weitere entscheidende Frage lautet: Wer soll für den Wiederaufbau des im Krieg gegen die Hamas verwüsteten Gaza bezahlen, wenn dieses zum Staat Palästina gehört?
Soll dies wieder in erster Linie der Westen sein, der in den letzten Jahrzehnten bereits den grössten Teil der über 100 Milliarden US-Dollar bezahlt hat, welche in die Palästinenser investiert wurden. (Mit dem Ergebnis, dass die Hamas ein 500 km langes Tunnelsystem für ihre Kämpfer und Waffen bauen konnte.)
Auch hier sind grosse Fragezeichen angebracht. Zumal nicht damit zu rechnen ist, dass sich die USA unter Präsident Donald Trump an diesen Kosten beteiligen würden, falls der palästinensische Staat aufgrund der Anerkennung durch Frankreich, Grossbritannien und Spanien Tatsache würde.
Auch die Schweizer Bevölkerung wäre wohl kaum erpicht, weitere Steuermillionen in ein solches Projekt mit dieser Vorgeschichte und mit ungewissem Ausgang zu investieren.
Daneben stellen sich auch ganz praktische Alltagsfragen bei einem einseitigen Staatengründungs-Vorpreschen wie jenem von Frankreich und Grossbritannien.
Zum Beispiel: Wie sollen der Personen- und der Warenverkehr zwischen dem in einem gemeinsamen Staat vereinten Westjordanland und Gaza funktionieren? Die beiden Gebiete sind nämlich voneinander getrennt und dazwischen liegt israelisches Staatsgebiet.
Deswegen sahen die israelischen Friedenspläne von 2000/2001 und 2008 vor, einen Verbindungskorridor zwischen dem Westjordanland und Gaza zu schaffen. Das dafür benötigte israelische Territorium sollte gegen gleich grosse Landstücke im Westjordanland getauscht werden.
Dadurch hätte sich auch das Problem der meisten illegalen israelischen Siedlungen im Westjordanland lösen lassen, denn ihre Gebiete wären Teil dieser Kompensation gewesen.
Dies ist zentral, denn ohne eine Lösung des Siedlerproblems ist mindestens in der Westbank die Bildung eines palästinensischen Staates unmöglich. Die einzigen aber, die dieses Problem lösen können, sind die Israelis selbst. So wie dies Ariel Sharon 2005 tat, als er alle Siedlungen in Gaza räumen liess, teils mit Waffengewalt. (Die jetzige, von rechtsradikalen Kräften dominierte Regierung macht genau das Gegenteil: Sie bewilligt neue Siedlungen und schaut mehr oder weniger tatenlos zu, wie radikale Siedler immer gewalttätiger gegen die benachbarte palästinensische Bevölkerung des Westjordanlandes vorgehen.)
Leider haben aber die Palästinenser in der Vergangenheit alle Friedensvorschläge abgelehnt, welche die Siedlerproblematik gelöst und ihnen zu einem eigenen Staat verholfen hätten.
Dass Israel jetzt dazu bereit wäre, diese Pläne erneut auf den Tisch zu legen, ist nach dem Massaker vom 7. Oktober auf lange Sicht ausgeschlossen. Erst recht, wenn ein palästinensischer Staat gegen den Willen Israels ausgerufen wird.
Mit anderen Worten: Die innen- und parteipolitisch motivierten Drohungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und des britischen Premiers Keir Starmer an die Adresse Israels – sowie die wirtschaftlichen Drohgebärden von EU-Seite – werden die Palästinenser keinen Schritt näher an einen eigenen Staat bringen.
Sie haben einzig bewirkt, dass sich die Terrororganisation Hamas in ihrer unbeugsamen Haltung und ihren Handlungen bestätigt fühlt und dass sich in Israel die Reihen hinter der umstrittenen derzeitigen Rechtsaussen-Regierung geschlossen haben. Denn auch für die israelische Opposition ist die Gründung eines eigenen palästinensischen Staates so kurz nach dem entsetzlichen Massaker vom 7. Oktober 2023 unvorstellbar.
Daran ändert nichts, dass an der Nahostkonferenz zum Thema «Zwei-Staaten-Lösung», die eben in New York zu Ende gegangen ist, die Staaten der Arabischen Liga sowie die Türkei erstmals den Terror der Hamas am 7. Oktober ausdrücklich verurteilt haben.
Denn nach dem Massenmord, den die Hamas-Terroristen unter dem Jubel ihrer Bevölkerung am 7. Oktober 2023 an Israelis verübt hat, wird es viele Jahre dauern, bis im jüdischen Staat das Vertrauen wieder vorhanden ist, um an eine friedliche Koexistenz mit einem palästinensischen Nachbarstaat zu glauben.
Die westlichen Regierungen und vor allem auch Staaten wie die neutrale Schweiz sollten diesen – langen und unerlässlichen – Prozess der Vertrauensbildung als glaubwürdige unparteiische Vermittler fördern.
Indem sie Israel an den Pranger stellen wie jetzt Frankreich und Grossbritannien (oder Spanien), erreichen sie das Gegenteil. Denn der jüdische Staat wird sich in dieser für ihn überlebenswichtigen Frage keinem Druck von aussen beugen. Egal, wie gross er ist und von wem er kommt.Ein palästinensischer Staat wird einzig mit und nicht gegen Israel Tatsache werden.
Sacha Wigdorovits ist Präsident des Vereins Fokus Israel und Nahost, der die Webseite fokusisrael.ch betreibt. Er studierte an der Universität Zürich Geschichte, Germanistik und Sozialpsychologie und arbeitete unter anderem als USA-Korrespondent für die SonntagsZeitung, war Chefredaktor des BLICK und Mitbegründer der Pendlerzeitung 20minuten.