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Debatte um Hungerbilder aus Gaza

Ein schockierendes Foto eines knapp zweijährigen, skelettdürren Jungen in den Armen seiner Mutter verbreitete sich in den vergangenen Tagen weltweit. Leitmedien wie BBC, New York TimesThe Guardian und Al Jazeera präsentierten Muhammad Zakariya Ayyoub al Matouq (18 Monate) als Sinnbild einer angeblich von Israel verursachten Hungersnot in Gaza. Kurz darauf machte ein zweites Bild die Runde: Der fünfjährige Osama al Rakab, nicht minder ausgezehrt, sollte belegen, dass Israel Kinder systematisch verhungern lasse.
Israels Koordinationsstelle für humanitäre Hilfe (COGAT) wies beide Darstellungen zurück und veröffentlichte erstmals detaillierte medizinische Fakten, die bisher kaum beachtet worden waren.

Zwei Kinder, zwei seltene Krankheitsbilder

Beide Fälle wurden zunächst ohne diesen Kontext verbreitet. Erst Recherchen des Watchdogs HonestReporting und des britischen Journalisten David Collier machten die Diagnosen öffentlich.

„Tragische Bilder rühren, können aber auch lügen“

„Tragische Bilder rühren zu Recht stark, doch wenn sie zur Lüge und zur Hassverbreitung missbraucht werden, schaden sie mehr, als sie nutzen“, betonte ein COGAT‑Sprecher am Sonntag. Israels stellvertretender Botschafter in Australien, Amir Meron, sprach sogar von einer „kampagnenartigen Verzerrung“.

Gerade in sozialen Netzwerken wurden die Fotos rasch als vermeintlicher Beweis für gezielte Aushungerung geteilt – ohne Prüfung der medizinischen Akten oder der Bildquellen. Während die türkische Agentur Anadolu das Foto von Muhammad verbreitete, ist der Ursprung von Osamas Aufnahme unklar.

Humanitäre Hilfe und Propagandakrieg

Israel verweist darauf, seit Kriegsbeginn über 94 000 Hilfstransporte in den Gazastreifen zugelassen zu haben. Täglich gebe es taktische Feuerpausen und mehrere humanitäre Korridore. Seit Juli dürfen Drittstaaten Hilfsgüter per Fallschirm abwerfen; bei der ersten gemeinsamen Mission von Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten landeten rund 25 Tonnen Versorgungsgüter.

Israel macht die Hamas dafür verantwortlich, dass Lieferungen oft nicht bei den Bedürftigen ankommen. Die Organisation kontrolliere Depots, leite Güter um oder versorge bevorzugt eigene Kämpfer. Unabhängige Bestätigungen sind kaum möglich, doch westliche und arabische Hilfsorganisationen berichten ebenfalls von gestohlenen Vorräten.

Bis 22. Juli standen laut COGAT etwa 950 LKW‑Ladungen im Gazastreifen unverteilt. Seit dem 27. Juli haben UN‑Organisationen nach COGAT‑Angaben etwas mehr als 120 dieser LKW abgeholt; gleichzeitig trafen weitere 180 ein. Damit warten weiterhin rund 800 bis 900 Fahrzeuge auf Abholung.

Medien in der Pflicht

Der Fall wirft erneut die Frage auf, wie Redaktionen mit emotional aufgeladenen Bildern aus Konfliktzonen umgehen. Australiens Premier Anthony Albanese prangerte unter Berufung auf Muhammad al Matouq eine „humanitäre Katastrophe“ an. Medienethiker fordern dagegen:

  1. Kontext vor Klicks – Ohne medizinische Hintergründe kann die Darstellung irreführend sein.
  2. Quelle prüfen – Wer hat das Bild aufgenommen, und welche Agenda verfolgt die Quelle?
  3. Gegencheck einfordern – Auch Behörden wie COGAT oder lokale Krankenhäuser liefern verwertbare Dokumente.

Für HonestReporting‑Direktor Joe Hyams zeigt der Wirbel „die Macht eines Einzelfotos, Debatten in eine Richtung zu lenken – egal, ob es den Fakten standhält“.

Eine Lektion im digitalen Bilderkrieg

Die Schicksale von Muhammad und Osama sind tragisch und ihr Leid real. Doch ihre Fotos taugen kaum als Beleg für eine systematische Hungerpolitik. Vielmehr offenbaren sie die Fallstricke eines medialen Ökosystems, das schnelle Empörung häufig höher gewichtet als sorgfältige Verifikation.Ob für Kritiker Israels oder für Verteidiger seiner Kriegsführung: Die Fälle mahnen, dass im digitalen Zeitalter jedes Bild binnen Minuten globale Wirkung entfalten kann – und ebenso schnell falsch eingeordnet wird. Wer Verantwortung für den öffentlichen Diskurs übernehmen will, muss deshalb mehr denn je erst die Fakten und dann das Bild sprechen lassen.

Lesen Sie auch hier: Hilfsgüter erreichen trotz Hamas die Bevölkerung

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